Aufsatz
Die Net-Economy - Besonderheiten und Strategische Erfolgsfaktoren
(erschienen in: Manschwetus, U./ Rumler, A.: Strategisches Internetmarketing - Entwicklungen in der Net-Economy, Wiesbaden 2002)
Inhalt
2.2.1 Der Markt in der Net-Economy
2.2.2 Neue Infosphäre
2.2.3 Neue Rolle der Kunden
2.2.4 Neues für die Wertschöpfungskette
3. Strategische Erfolgsfaktoren in der Net-Economy
3.1 Definition Erfolgsfaktoren
3.2 Strategische Erfolgsfaktoren in der Net-Economy
3.2.1 Grundsätzliches
3.2.2 Überlegenen Kundennutzen bieten - echte Zahlungsbereitschaft schaffen
3.2.3 Gewonnene Kunden binden
3.2.4 Effiziente und effektive Organisation und Kooperation
3.2.5 Die Wertschöpfungskette ganzheitlich prüfen
3.2.6 Internationalität vor Globalität
3.2.7 Strategie ja - aber ohne Scheuklappen
1. Einleitung
Der Euphorie hinsichtlich der schier unerschöpflich scheinenden Möglichkeiten, über und mit dem Internet Geld zu verdienen, ist einer wohltuenden realistischen Einschätzung gewichen. Innovative Geschäftsmodelle von Internet-Start-ups werden nicht mehr ohne kritische Prüfung von den Investoren "durchgewunken", die Möglichkeiten der Effizienzsteigerung durch internetbasierte Wertschöpfungsprozesse in den Unternehmen werden zunehmend realistischer bewertet. Der Internethype ist (vorerst) vorbei - ist die Net-Economy am Ende? Diese offenkundig eher rhetorische Frage kann und muss mit einem klaren "Nein" beantwortet werden. Das Internet bietet nach wie vor immense Chancen, um entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens (vom Einkauf über die Produktion bis hin zum Marketing und Vertrieb) einerseits die internen Prozesse zu optimieren und andererseits die eigenen Geschäftsmöglichkeiten zu verbessern. Und: das Internet und damit die Net-Economy wird weiter wachsen. Unabhängig davon, welche traditionell mit Unsicherheiten behafteten Prognosen und Untersuchungen man betrachtet (diese sind aufgrund ihrer oft mangelnden empirischen Basis und häufig unklaren Definitionen und Abgrenzungen nur bedingt hilfreich), ergibt sich ein einheitli-ches Bild: Das Internet wird auch in Zukunft sehr schnell wachsen, schneller als alle jemals vom Menschen geschaffenen Medien (vgl. Cole, J.: (1999), S. 21). Das Radio benötigte in den USA 38, das Fernsehen 13 und das World Wide Web nur fünf Jahre, um 50 Millionen Menschen zu erreichen (vgl. Zerdick, A./Picot, A. et al.: (1999), S. 142).
Abb. 1: Diffusionsgeschwindigkeit von Technologien
(in Anlehnung an Morgan Stanley U.S. Investment Research (1996), S. 1ff)
Dieses dynamische Wachstum des Internets kann nicht ohne Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft bleiben. So wie andere technische Entwicklungen das Leben der Menschen verändert haben, so tangiert auch die weltweite Vernetzung durch das World Wide Web viele Bereiche unseres Lebens immer stärker. Die Menschheit steht heute mutmaßlich erst am Anfang eines "Internet-Zeitalters"; Digitalisierung und Vernetzung erlauben den schnellen und kostengünstigen Austausch von Informationen, weltweit und rund um die Uhr. Räumliche und zeitliche Grenzen verwischen und traditionelle Strukturen, insbesondere in der Kommunikation, brechen auf. Dies bedeutet einen Umbruch, dessen Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit die Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellt, aber gleichzeitig auch völlig neue Möglichkeiten bietet.
Abb. 2: Merkmale des Internets
Um die Potenziale des Internets nutzen zu können, ist es jedoch notwendig, sich einerseits intensiv mit den Besonderheiten der Net-Economy zu beschäftigen und andererseits von den bisher gemachten Erfahrungen im E-Business zu lernen. Der vorliegende Aufsatz will zu beiden Themen Informationen und Anregungen liefern, auch auf die Gefahr hin, dass bei seiner Veröffentlichung durch die Dynamik der Entwicklungen in der Net-Economy die eine oder andere Erkenntnis bereits veraltet ist.
2. Die Besonderheiten der Net-Economy
2.1 Begriffe und Definitionen
Ausgelöst durch die dynamische Entwicklung der Informationstechnik, hier vor allem durch das Internet, können wir eine Zweiteilung des Marktsystems feststellen. Zum einen bleibt die physische Welt der Produkte weiter erhalten, in der die bekannten Herausforderungen der physischen Wertschöpfungsprozesse bewältigt werden müssen. Zum anderen tritt neben diese physische Welt eine virtuelle Welt, die durch digitalisierte Informationen und Kommunikationswege gekennzeichnet ist (vgl. Weiber/Kollmann (2000), S. 48). Es entwickelt sich eine "Net-Economy", also eine durch die Nutzung elektronisch vernetzter Informationssysteme, im Sinne dieses Aufsatzes durch die Nutzung des Internets, untereinander verbundene Wirtschaft. Innerhalb dieser Net-Economy geht es zunächst darum, ganz wie in der physischen Welt, untereinander in Austauschbeziehungen zu treten, die einen gegenseitigen Nutzen erbringen. So werden untereinander Geschäfte angebahnt, abgeschlossen und abgewickelt, Prozesse unternehmensintern und unternehmensübergreifend optimiert und Informationen gesucht, gefunden und ausgetauscht. Durch die oben bereits angeführte Digitalisierung und Vernetzung ergeben sich jedoch Besonderheiten, die es rechtfertigen, von einer eigenen Welt, eben der "Net-Economy", zu sprechen. Welche Besonderheiten diese Net-Economy im Vergleich zur physischen Welt ausmachen und welche Erfolgsfaktoren es zu beachten gilt, wird im folgenden ausführlich erläutert. Die Net-Economy zeichnet sich im oben angeführten Sinne im wesentlichen durch geschäftliche Austauschbeziehungen aus, die uns unter den Begriffen des Electronic-Business und Electronic-Commerce bekannt sind.
Der Ausdruck Electronic Commerce, oder E-Commerce, ist ein noch junger Begriff, der erst in den vergangenen Jahren entstanden ist und durch die rasche Verbreitung des Internet an Bedeutung gewonnen hat. Stellvertretend für verschiedene Definitionsansätze sollen an dieser Stelle zwei Definitionen genannt sein:
So versteht Merz beispielsweise unter E-Commerce ganz allgemein die Unterstützung von Handelsaktivitäten über Kommunikationsnetze (vgl. Merz, M.: (1999), S. 27f).
Haasis geht in einer etwas detaillierten Definition davon aus, dass unter E-Commerce die über Telekommunikationsnetzwerke unter Nutzung von Web-Technologien elektronisch realisierte Anbahnung, Aushandlung und Abwicklung von Geschäftstransaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten zu verstehen ist. Dabei ist es allerdings nicht von Bedeutung, ob die Waren und Dienstleistungen direkt vom Hersteller, oder über einen Absatzmittler bezogen werden. Auch kommt es nicht auf die Art der Ware bzw. Dienstleistung an (vgl. Haasis, K./Zerfaß, A.: (1999), S. 14).
Wir verstehen unter E-Commerce jede Art von geschäftlicher Transaktion, bei der Geschäftspartner auf elektronischem Weg über ein Datenkommunikationsnetz Waren oder Dienstleistungen austauschen. Grundsätzlich kann alles, was auf konventionellem Wege vertrieben wird, auch im Rahmen des Electronic Commerce mit Hilfe der neuen Medien ausgetauscht werden (jedenfalls vertraglich). Es handelt sich hierbei vor allem um güterwirtschaftliche (Waren und Softwareprodukte), finanzwirtschaftliche (allgemeine Geldgeschäfte, Aktienhandel, Versicherungen, Fonds) und informationswirtschaftliche (Dienstleistungen im Bereich Informationsbeschaffung und -vermittlung) Transaktionen. In der Literatur gehen häufig die Definitionen von E-Commerce und E-Business ineinander über. Einige Autoren sehen Electronic Business allerdings als Oberbegriff für die gesamten elektronischen Geschäftsprozesse, die über das Internet ablaufen, an. Ihrer Meinung nach umfasst E-Business sämtliche Transaktionen zwischen Kunden und Lieferanten, sowie allen am Prozess beteiligten Personen (vgl. Weis, H. C.: (2000), S. 42f). Wir verstehen unter E-Business ein Konzept zur Nutzung von bestimmten Informations- und Kommunikationstechnologien (im Sinne dieses Aufsatzes also das Internet) zur elektronischen Integration und Verzahnung von Wertschöpfungsketten und unternehmensübergreifenden Geschäftsprozessen (vgl. dazu unter anderem Baumannn, M./Kistner, A.C.: (2000), S. 327f).
Die folgende Abbildung gibt einen Überblick über wesentliche Elemente des E-Business innerhalb der Net-Economy.
Abb. 3: Dimensionen des Electronic Business
2.2 Die Net-Economy und ihre Besonderheiten
2.2.1 Der Markt in der Net-Economy
Ein Markt besteht aus Marketing- (und nicht aus volkswirtschaftlicher) Sicht aus allen potenziellen Akteuren mit einem bestimmten Bedürfnis oder Wunsch, die willens und in der Lage sind, durch einen Austauschprozess das Bedürfnis oder den Wunsch zu befriedigen (vgl. Kotler/Bliemel (1999), S. 14). Märkte in der Net Economy bilden eine ausgewählte institutionelle und technische Plattform für Electronic Business und insbesondere für Electronic Commerce, bei der der marktliche Koordinationsmechanismus das gemeinsame Merkmal darstellt (vgl. Pi-cot/Reichwald/Wigand 1998, S. 317). Zur Beschreibung von Märkten in der Net Economy stellt Schmid das folgende Strukturierungskonzept zur Verfügung:
Abb. 4: Rahmenmodell für elektronische Märkte (vgl. Schmid 1999, S. 42)
Die Gemeinschaftsschicht beschreibt und strukturiert die primär interessierende Marktgemeinschaft, indem sie ein Medium im oben beschriebenen Sinne definiert. Diese Schicht bestimmt die erforderlichen Rollen (Anbieter, Nachfrager, Handelsmittler bzw. Intermediäre), die zielführenden Protokolle und Prozesse sowie die Logik (Syntax und Semantik) des elektronischen Marktes. Der aus der Gemeinschaftsschicht hervorgehende logische Raum sowie die Organisationsstruktur des Mediums werden auf der Implementierungsschicht realisiert bzw. im Hinblick auf die Anforderungen der eigentlichen Transaktion umgesetzt. Die Transaktionsschicht beschreibt die generischen, d.h. für den Koordinationsmechanismus Markt charakterisierenden Funktionen Informieren, Gebot, Vereinbarung und Abwicklung. Die Implementierung der Transaktionsdienste erfolgt auf der Infrastrukturschicht, indem Schnittstellen zur Informations-, Kommunikations- und Transaktions-Infrastruktur geschaffen werden.
Das Modell von Schmid verdeutlicht den fundamentalen Unterschied zwischen traditionellen Märkten in der physischen Welt und Märkten in der Net- Economy: Der elektronische Markt erlaubt die unabhängige Implementierung des generischen Marktmechanismus. So kann einerseits die "Oberfläche" des Marktmediums auf unterschiedliche Art gestaltet werden und auf die Anforderungen der jeweiligen Marktgemeinschaft ausgerichtet werden. Andererseits können die zugrundeliegenden Transaktionsdienste standardisiert und somit kostengünstig auf den verschiedenen Marktplätzen zum Einsatz gebracht werden. Traditionelle Marktgesetzmäßigkeiten können häufig nicht "eins-zu-eins" auf Märkte in der Net-Economy übertragen werden. Die Ursache hierfür liegt im Wesentlichen in einer durch das Internet geschaffenen neuen Infosphäre (vgl. Schmid 1999, S. 39), die verschiedene wichtige Besonderheiten nach sich ziehen, auf die sich die Unternehmen einstellen müssen.
2.2.2 Neue Infosphäre
Legt man die von der Marktprozesstheorie postulierte Existenz von dynamischen Informationsasymetrien auf Märkten zu Grunde, so wird das rechtzeitige Erkennen und die Ausnutzung von Informationslücken und unvollkommener Information zur treibenden Kraft des Marktmechanismus (vgl. Picot/Reichwald/Wigand 1998, S. 25f). Das Internet ermöglicht Informationsvermittlung bisher unbekannten Grades, was zu einer Ausweitung des Informationsangebotes und -austausches führt. Das Internet ermöglicht es den Akteuren, effizient und in Echtzeit miteinander zu kommunizieren. Die Transaktionskosten in der Net-Economy sinken dadurch rapide (vgl. Schneider/Schnettkamp 2001, S. 50), die Transaktionsgeschwindigkeiten und die Flexibilität im Informationsaustausch steigen gewaltig. Vormals existierende Informationsungleichgewichte, beruhend auf dem limitierten Informationszugang der Akteure, können verringert werden. Viele Informationen in der Net-Economy sind omnipräsent, da grundsätzlich eine Unabhängigkeit von Ort und Zeit vorliegt; zudem sind die Informationen in der Regel durch eine hohe Aktualität gekennzeichnet. Die neue Infosphäre in der Net-Economy bietet den Akteuren also erhebliche Potenziale zur Erringung von komparativen Konkurrenzvorteilen im Bereich der Informationsgewinnung, -übertragung und -verarbeitung. Allerdings muss auch gesagt werden, dass einem potentiellen Zuwachs an informatorischer Transparenz ein in seiner Fülle schwer überschaubares Informationsangebot, gegenübersteht, was ein entsprechendes Informationsmanagement notwendig macht.
2.2.3 Neue Rolle der Kunden
Dennoch kann konstatiert werden, dass zumindest die Möglichkeit einer erhöhten Markttransparenz für die Akteure besteht. Diese Markttransparenz kann gleichzeitig zu einer effektiveren Preisfindung führen. Transparenz bei den Produktpreisen und Konditionen der Anbieter führt - zumindest theoretisch - zu einer potenziellen Senkung der Marktpreise. Da aber in vielen Fällen die Angebote nur sehr schwer hinsichtlich deren Nutzenstiftung für den Nachfrager vergleichbar sind (weil diese zum Beispiel zu komplex bezüglich deren Bestandteile sind oder weil ergänzende Leistungen angeboten werden), wird diese Transparenz mutmaßlich eher zu einer dynamischen Preisfindung führen (zum Beispiel bei virtuellen Marktplätzen). Höhere Transparenz kann insgesamt gesehen zu einer neuen Machtposition bei den Kunden führen, die sich in allen Instrumentarbereichen des Marketings niederschlägt. Die Kunden kommunizieren leichter und häufiger untereinander; sie "verbrüdern" sich in Meinungsportalen oder "virtual communities" ("if you have an unhappy customer on the Internet, he doesn't tell his six friends, he tells his 6.000 friends", Jeff Bezos, President, Amazon.com). Beschwerden können künftig zu "Massenpetitionen" werden. Eine im Unternehmenssinn geführte Steuerung der Kunden wird in der Net-Economy daher für die Unternehmen immer schwieriger. Einem systematischen und auf die Belange der Net-Economy zugeschnittenen Marketing wird also eine noch stärkere Bedeutung zukommen, als es ehedem schon der Fall war. Das Marketing bzw. eine rigorose Kundenorientierung ist als einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren anzusehen (vgl. dazu ausführlich Abschnitt 3.2 des Beitrages). Die neue Infosphäre bietet den Unternehmen in der Net-Economy auch die Möglichkeit, ihre Kunden besser kennen zu lernen, sie besser zu verstehen und auf ihre Wünsche individueller einzugehen. Die genaue Identifizierung von Kundendaten und -präferenzen und deren zielgerichtete Aufbereitung mittels verschiedener "Data-Mining-Techniken" führt zu verbesserten Möglichkeiten der individuellen und erweiterten Angebotsgestaltung und einer persönlicheren und effektiveren Kommunikation: der Hersteller schneidet seine Leistungen beispielsweise nach dem Baukastenprinzip auf die individuellen Wünsche des Kunden zu (Beispiel: der Kosmetikanbieter reflect.com: Maßgeschneiderte Kosmetika aus 50.000 Produkt-Varianten, Platz 2 der Sites mit dem größtem Käufer-Zuwachs im August 2000 bis Januar 2001 Käufer-Zuwachs: 242 Prozent in einem Monat). Die Produkte differenzieren sich von der Konkurrenz, und es kann eine emotionale Bindung entstehen, denn der Kunde bringt sich emotional beim Erwerb eines Produktes ein. Gegebenenfalls ist dadurch sogar ein Preisaufschlag möglich.. Im Ergebnis kann eine höhere Kundenzufriedenheit und eine stärkere Kundenbindung erreicht werden (vgl. dazu Abschnitt 3.2 des Beitrages).
2.2.4 Neues für die Wertschöpfungskette
"Informationen sind der Leim, der die Struktur aller Geschäfte zusammenhält." (Evans/Wurster 1998, S. 52). Diese Behauptung wird belegt, wenn man sich den Aufbau der Wertschöpfungskette eines Unternehmens verdeutlicht. Nach Porter gliedert sich die Wertkette eines Unternehmens in strategisch relevante Tätigkeiten; er identifiziert voneinander unterscheidbare Wertaktivitäten (vgl. Porter 1989, S. 63ff), aus deren Verknüpfung ein Unternehmen für seine Kunden ein "wertvolles Produkt" schafft.
Abb. 5: Die Wertkette nach Porter
Die entscheidende Querschnittsfunktion stellen Informationen dar, die sowohl innerhalb des Unternehmens als auch zwischen dem Unternehmen und seiner Umwelt wirken (vgl. Weiber/Kollmann 2000, S. 49). In der Net-Economy erhält der Faktor Information in Bezug auf die Wertschöpfungskette höchste Priorität. Wie bereits oben gesagt, kann in der Net-Economy die vor der Entwicklung des Internets uneingeschränkt gültige und zugleich limitierende Wechselbeziehung zwischen Informationsfülle und Reichweite theoretisch aufgehoben, zumindest jedoch stark abgeschwächt werden. Daneben ermöglicht das Internet im Rahmen eines elektronischen Marktes die separate Realisation von "oberflächlicher" Marktgemeinschaft und eigentlichem, generischen Marktmechanismus. Beides zusammen bedeutet ein Loslösen der Information von ihrem physischen Überbringer und führt erstmalig zu einer Trennung zwischen Informations- und Güterökonomik. Die schwerwiegendste Konsequenz aus der Trennung von Informations- und Güterströmen ist die Dekonstruktion der klassischen Wertschöpfungsketten in der Net-Economy. Immer dann, wenn eine traditionelle Wertkette als Gesamtheit eine Kompromißlösung in Bezug auf ihre Informationskomponente darstellt, wird sie in der Net-Economy anfällig gegenüber partiellen Substitutionen durch Dritte. Die Wertkette zerreißt dann, wenn neue Akteure ein bisher nur teilbefriedigend gelöstes Element der Kette abspalten, sich darauf konzentrieren und es zu einem separaten Geschäft machen (vgl. dazu auch Evans/Wurster 1998, S. 54ff). Unternehmen konzentrieren sich auf die Elemente der Wertschöpfungskette, die für den Markterfolg wesentlich sind und die sie besonders gut im Vergleich zum relevanten Wettbewerb beherrschen. Es geht also mit anderen Worten um die Identifikation der in der Net-Economy relevanten Kernkompetenzen. Diejenigen Leistungen, die einen geringen Beitrag zu den Kernkompetenzen liefern, dennoch aber wichtig für den Markterfolg sind, sind prädestiniert für ein Outsourcing, ebenso wie die Leistungen, die geringe Beiträge sowohl zum Markterfolg als auch zu den Kernkompetenzen liefern. Konzentriert sich ein Unternehmen auf die eigenen Kernkompetenzen, so werden zwangsläufig Aktivitäten innerhalb der Wertschöpfungskette offenbar, die mögli-cherweise ein Externer besser und erfolgreicher durchführen kann als das Unternehmen selbst. Es entsteht dadurch also ein größerer Bedarf nach einer engen Zusammenarbeit mit Dritten - die Arbeitsteilung innerhalb der Net-Economy unterscheidet sich massiv von der in der physischen Welt. Die Bildung von Allianzen und flexiblen Netzwerken stellt in der Net-Economy also ein wesentliches strategisches Element dar. Die Net-Economy erleichtert das Entstehen von elektronisch vernetzten Markt- und Unternehmensstrukturen auf allen Stufen der oben angeführten Wertschöpfungskette, da die Eintrittsbarrieren für das Eingehen neuer Geschäftsbeziehungen sinken. Unternehmen, die sich auf den Online-Vertrieb über das Internet konzentriert haben, müssen Kooperationen mit Logistik-Unternehmen und Banken eingehen, damit Transport und Zahlungsverkehr zur Zufriedenheit der Kunden und des Unternehmens erfolgen (vgl. Picot/Neuburger 2001, S. 30ff).
Durch die Digitalisierung in der Net-Economy können die wertschaffenden Schritte im Informationsverarbeitungsprozess wesentlich unterstützt werden; Weiber/Kollmann spre-chen in diesem Zusammenhang von einem virtuellen Wertschöpfungsprozess (vgl. Weiber/Kollmann 2000, S. 49). Durch virtuelle Wertschöpfungsprozesse eröffnen sich möglicherweise auch neue Marktchancen: So kann der virtuelle Wertschöpfungsprozess Hinweise zur Optimierung der physischen Wertschöpfungsprozesse liefern und durch Integration von Kundeninformationen auch zu Verbesserungen der realen Angebote führen. Darüber hinaus können virtuelle Wertschöpfungsprozesse auch zu neuen, eigenständigen Angeboten, die direkt innerhalb der Net-Economy vermarktet werden, führen (vgl. Weiber/Kollmann 2000, S. 51).
Der traditionell durch die Bündelung und damit Einsparung von Transaktionskosten begründete Sinn einer vielstufigen, in sich geschlossenen Wertschöpfungskette wird in der Net-Economy "entleert", was ein Absenken von Markteintrittsbarrieren und zugleich eine starke Erosion von tradierten Unternehmens- und Branchenstrukturen mit sich bringen kann. Der Zerfall der klassischen Wertschöpfungskette in der Net-Economy zieht ein "Aufsammeln" im Sinne einer Neuordnung der "losen" Kettenmitglieder nach sich - die Aufgaben und Rollen der Akteure in der Net-Economy verändern sich. Hersteller sind verlockt, ihre traditionelle Lieferkette zu umgehen oder zu ergänzen und über das Internet den Endkunden direkt zu bedienen. Besonders im B2C-Sektor haben in den letzten Jahren einige Unternehmen dieses Konzept der Dis-Intermediation durch Reduzierung einzelner bzw. aller Handelsstufen konsequent und erfolgreich umgesetzt. Der Computerhersteller Dell ist wohl das bekannteste Unternehmen, das ausschließlich auf Direktvertrieb über das Internet setzt. Aber auch Bekleidungshersteller wie LandsEnd setzen auf eine konsequente Dis-Intermediation, um Kosten zu sparen. Es zeigt sich jedoch, dass die Dis-Intermediation in der Net-Economy nicht so stark wie erwartet stattfindet, insbesondere wegen der Marktmacht der Intermediäre und deren Funktionen, die sie beim Endkunden erfüllen. Von steigender Bedeutung wird zukünftig die parallele Nutzung von tradierten und innovativen Distributionswegen sein ("Multi-Channeling").
3. Strategische Erfolgsfaktoren in der Net-Economy
3.1. Definition Erfolgsfaktoren
Unter Erfolgsfaktoren verstehen wir alle Faktoren, von denen man annehmen kann, dass sie den unternehmerischen Erfolg oder Misserfolg entscheidend beeinflussen. Strategische Erfolgsfaktoren bilden aus theoretischer Sicht die Ursachen für die positive oder negative Entwicklung eines Unternehmens oder Geschäftsmodells. Sie geben Antwort auf die Frage, welche Kriterien einen wesentlichen Einfluss auf das Erfolgspotenzial von strategischen Geschäftsfeldern ausüben. (vgl. Fischer 1993, S. 18). Aus den vielschichtigen Zusammenhängen und Wechselwirkungen zwischen den jeweiligen Unternehmen und den sich verändernden Umweltbedingungen kann eine Vielzahl potenzieller strategischer Erfolgsfaktoren entwickelt werden, die in den unterschiedlichen Situationen variierende Bedeutungen für den Unternehmenserfolg aufweisen. Wir wollen uns daher im folgenden auf die Faktoren konzentrieren, die für den Erfolg von Unternehmen und Geschäftsmodellen in der Net-Economy von Relevanz sein können.
3.2 Strategische Erfolgsfaktoren in der Net-Economy
3.2.1 Grundsätzliches
"Technology changes, economic laws do not." (Shapiro/Varion, 1999 in Schubert/Selz/Haertsch (2001), S. 4). Bisher stand die Entwicklung von Geschäftsmodellen in der Net-Economy sehr häufig unter dem Primat des "technisch Machbaren", was im Ergebnis zu einer schier unüberschaubaren Menge an mehr oder weniger innovativen Geschäftsmodellen geführt hat. Der Beginn des "dot.com-booms" belebte auch das Geschäft der Venture Capital-Gesellschaften in Erwartung auf hohe Gewinne aus der "neuen Ökonomie". Ein Investment-Manager einer Venture Capital-Gesellschaft sagte dem Autor dazu: "Man musste dabei sein, aus Angst ein Netscape oder eBay zu verpassen." Aufgrund der positiven Resonanz des Kapitalmarktes zur Finanzierung von dot.coms, nicht zuletzt geprägt durch die positiven Signale, die von Firmen wie Bertelsmann ausgingen durch den Kauf von Pixelpark und Webmiles, drängten sich die VC-Gesellschaften um die Finanzierungen von dot.coms. Dies führte in vielen Fällen zu Finanzierungen, bei denen die sonstige Vorsicht und Größenrelation außer Acht gelassen wurde. Dem anfängli-chen Enthusiasmus in der Net-Economy ist seit Sommer 2000 eine tiefe Ernüchterung über die Erfolgsaussichten von Unternehmen in der Net-Economy gefolgt, im wesentli-chen ausgelöst durch die vielen erfolglosen Geschäftsmodelle (es seien stellvertretend an dieser Stelle die Unternehmen boo.com, letsbuyit.com, dooyoo.de, Kabel New Media, Brokat AG etc. erwähnt). Offensichtlich ist es diesen Unternehmen nicht gelungen, die für sie relevanten Erfolgsfaktoren zu erkennen und deren Realisierung zu gewährleisten. Und die erste, im nachhinein sicher triviale Erkenntnis lautet: Auch die Unternehmen der Net-Economy unterliegen den Grundregeln der Betriebswirtschaft. Darüber hinaus wurden die Möglichkeiten, die die Net-Economy bietet, vor allem auf die "Start-Up-Unternehmen" bezogen. Dass das Internet selbstverständlich auch den Unternehmen aus der vermeintlichen "Old-Economy" neben Risiken auch viele Chancen eröffnet, wurde häufig übersehen. Es besteht ein riesiges Potenzial für Effizienzsteigerungen durch die Verbesserung von Teilprozessen in den Unternehmen der vermeintlichen "Old-Economy" (z.B. Auftragsabwicklung, Dokumenten- und Wissensverwaltung, Instandhaltungsprozesse, Logistikprozesse etc.). Zudem beginnt die "Old-Economy" damit, ihren Vorsprung in Technologie, Zugriff auf Content und Management Know-how einzusetzen, um dort gegen zu halten, wo sie von den Unternehmen der vermeintlichen "New E-conomy" angegriffen wurden. Seit längerer Zeit ist sehr gut zu beobachten, wie die Unternehmen der realen Welt sich massiv des Internets (und anderer neuer Technologien) bedienen, um damit ihre Positionen auf klassischen Märkten zu verstärken. Weiterhin werden diese Unternehmen versuchen, für sie relevante neue Geschäftsmöglichkeiten in der Net-Economy als Ergänzung bestehender Geschäftsmodelle zu identifizieren. Einige der "Start-Up-Unternehmen" der New Economy werden ihre Strukturen zügig modernisieren und ihre Kompetenzbreite erweitern müssen, um diesen möglichen Wettbewerb von Unternehmen der realen Welt überstehen zu können. Auf jeden Fall gilt es, zukünftig das Wechselspiel zwischen alten und neuen (E-Business-) Geschäftsmodellen in Form hybrider Systeme zu analysieren und laufend zu beobachten (vgl. Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 34).
Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher auf alle Unternehmen, die (auch) in der Net-Economy erfolgreich sein wollen. Die in Abschnitt 2 des Beitrages formulierten Besonderheiten der Net-Economy sind wesentliche Grundlage für die folgenden Ausführungen, ebenso wie die Berücksichtigung der bereits vorliegenden Erkenntnisse zu den Gründen des Scheiterns oder des Erfolgs von Unternehmen in der Net-Economy. Es wird versucht, diese soweit zu verdichten, dass eine Konzentration auf wenige essentielle strategische Erfolgsfaktoren möglich wird, auch auf die Gefahr hin, einigen wesentlichen Aspekten in diesem Beitrag zu wenig Raum zu geben. Auf die Beschreibung der in der relevanten Literatur häufig zu findenden operativen Erfolgsfaktoren wird bewusst verzichtet; diese werden aber zum Teil bei der Diskussion der strategischen Erfolgsfaktoren berücksichtigt.
3.2.2 Überlegenen Kundennutzen bieten - echte Zahlungsbereitschaft schaffen
Die Geschäftsmodelle in der Net-Economy sollten - ganz wie in der realen Welt - das Ergebnis eines systematischen Planungsprozesses sein. Er verläuft von realistischen Zieldefinitionen und umfangreichen Analysen der Kunden und Konkurrenten über die Festlegung des Angebotes bis hin zur Ausgestaltung der verschiedenen betrieblichen Funktionsbereiche. Immer deutlicher wird bei der Analyse der gescheiterten Geschäftsmodelle, dass der Erfolg eines jeden Geschäftsmodells in der Net-Economy im Wesentlichen davon abhängt, den Kunden ein Nutzenangebot zu bieten, für das sie bereit sind, auch entsprechende Zahlungen zu leisten (vgl. dazu Abschnitt 2.2.2 des Beitrages und unter anderem Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 32ff, BCG 1999, S. 27f, Booz/Allen/Hamilton 2000, S. 19). Der "free-lunch-Mentalität" der Internet-Nutzer ist aus Sicht der Unternehmen nur damit erfolgversprechend entgegen zu wirken. Geschäftsmodelle, die vorwiegend auf Einnahmen aus Online-Werbung basieren, werden kaum noch Aussicht auf dauerhaften Erfolg haben. Es kommt also mit anderen Worten darauf an, ein solides Erlösmodell zu schaffen. Um dieses Modell konstruieren zu können, ist eine sorgfältige und vor allem realistische Markt- und Konkurrenzanalyse mit einer darauf folgenden Marktsegmentierung unerlässlich. Erst wenn die Analyse zeigt, dass ausreichend große Marktsegmente mit entsprechenden Potenzialen und Wachstumschancen vorhanden sind, die für das Unternehmen auch wirtschaftlich erreichbar und bearbeitbar sind, sollte mit der Realisierung des Geschäftsmodells fortgefahren werden. Entsprechende Fehleinschätzungen und/oder Übertreibungen gepaart mit einer Leichtgläubigkeit der Geldgeber haben in der Vergangenheit nicht unwesentlich zum Scheitern vieler Geschäftsmodelle beigetragen. Wir halten also fest: "Der Kunde treibt die Wertschöpfung, steht an ihrem Anfang und bestimmt sie in hohem Ausmaß selbst mit. Nicht nur der Einsatz modernster Technologien oder die Orientierung an Produkten und Inhalten werden damit zum zentralen Erfolgsfaktor werden, sondern eine rigorose Kundenorientierung" (Meyer 1999, S. 1). In der Net-Economy ist derzeit eine "Renaissance des Marketings" zu beobachten. Ahlert/Backhaus/Meffert betonen dies als wesentliches Ergebnis in ihrer MCM-Studie 2001: Unter Kenntnis des gewünschten und eines der Konkurrenz überlegenen Kundennutzens ist für Geschäftsmodelle in der Net-Economy zu prüfen, in welcher Form Erlöse für die angebotenen Leistungen geschaffen werden können, um schließlich die Architektur des Geschäftsmodels gestalten zu können (vgl. Ahlert/Backhaus/Meffert 2001, S. 32 ff). Dabei sind selbstverständlich die in Abschnitt 2.2.3 und 2.2.4 beschriebenen Besonderheiten der Net-Economy zu berücksichtigen. Die Überlegenheit des Nutzenangebotes kann, in Anlehnung an Porter, entweder in Form einer echten Differenzierung des Angebotes vom relevanten Wettbewerb erreicht werden, für das der Kunde dann auch bereit ist, eine Preisprämie zu bezahlen. Oder dem Unternehmen gelingt es, bei einem Nutzenangebot, das sich nicht wesentlich von der Konkurrenz unterscheidet, einen für den Kunden spürbar günstigeren Preis, durch Realisierung eigener Transaktionskostenvorteile, anzubieten. Die Net-Economy bietet für beide Strategien gute Voraussetzungen. Bei der bereits weiter oben erwähnten Informationsüberlastung vieler Empfänger kann die Bereitstellung eines personalisierten Informationsangebotes zu einem Nutzenzuwachs führen. Auch die Schnelligkeit, Flexibilität, Aktualität, Individualität und Dialogfähigkeit des Internets können je nach Produktkategorie weitere Quellen zur Schaffung eines Nutzenzuwachses und Mehrwertes sein. Diese Art der Kundenorientierung erfordert "End-to-End-Prozesse", die sich von der realen Welt deutlich unterscheiden und deren Gestaltung für ein reibungsloses Ineinandergreifen von Software-Schnittstellen sowie vor- und nachgelagerten Prozessen sorgen muss (Vgl. Booz/Allen/Hamilton 2000, S. 19). Ist es nicht möglich, eine Differenzierungsstrategie erfolgreich umzusetzen, so rückt die Bereitstellung von Preisvorteilen in den Mittelpunkt der Strategie. Dem Unternehmen muss es gelingen, Transaktionskostenvorteile aufgrund der bereits oben beschriebenen Möglichkeiten in der Net-Economy zu generieren. Nicht außer Acht gelassen werden darf in diesem Zusammenhang, dass die angebotene Leistung des Unternehmens vom Kunden dennoch als akzeptabel angesehen werden muss; minderwertige Leistungen werden auch nicht durch entsprechende Preisvorteile akzeptiert werden (entsprechende Beispiele bieten Ahlert/Backhaus/Meffert 2001 auf Seite 40). Im Zusammenhang mit der Schaffung eines überlegenen Kundenutzens im beschriebenen Sinne ist es unabdingbar, eine Analyse der relevanten Konkurrenten in der Net-Economy, aber auch aus der "realen Welt", durchzuführen. Wird der zu finanzierende Mehraufwand für den zu erwartenden Wettbewerb nicht bei der Erstellung eines Businessplanes berücksichtigt, erhöht das die Wahrscheinlichkeit eines Scheiterns des Geschäftsmodells. Als logische Konsequenz aus der Kunden- und Konkurrenzanalyse muss die Strategiewahl zum Bestehen im Markt und zur Überwindung von Konkurrenten erfolgen. Beispiel: Tiss.com: Der Reiseanbieter ist einer der erfolgreichsten deutschen E-Commerce-Unternehmen. Tiss ist ein spezialisierter Anbieter mit einem klaren Nutzenversprechen: Die schnelle, einfache, zuverlässige und preiswerte Buchung von weltweiten Flugreisen. Das Geschäftsmodell ist konsequent auf die Umsetzung dieses Nutzenversprechens und der Verfolgung einer eindeutigen Kostenführerschaftsstrategie ausgerichtet (vgl. BCG 1999, S. 27).
3.2.3 Gewonnene Kunden binden
Aktives Kundenbindungsmanagement in der Net-Economy ist zwingend notwendig. Bevor die hohen Anfangsinvestitionen für die Etablierung eines Geschäftsmodells in der Net-Economy amortisiert sind, müssen Kunden zwei bis drei Jahre an das Unternehmen gebunden werden. In manchen Sektoren wechseln jedoch bis zu 50% der Kunden den Anbieter vor dem Erreichen des kritischen dritten Jahres (vgl. Reichheld/Schefter 2000, S. 106ff). Um positive "Customer Lifetime Values - CLV" generieren zu können, müssen die Kunden aber über einen längeren Zeitraum hinweg gebunden werden. Sofern ein Unternehmen in der Net-Economy dem Kunden tatsächlich einen überlegenen Kundennutzen im oben beschriebenen Sinne bietet, sind gerade in der Net-Economy sehr gute Chancen gegeben, einen Kunden langfristig zu binden. Die klassischen Kundenbindungs-instrumente wie Bonusprogramme, Rabattsysteme, Kundenclubs, Beschwerdemanagement etc. sind zwar auch im Internet möglich, jedoch als unvollständig zu bewerten. Vielmehr kommt es darauf an, die Besonderheiten des Internets bei der Entwicklung eines Kundenbindungsmanagements zu berücksichtigen. Das Beschwerdemanagement kann sich beispielsweise der e-mail bedienen. Auf die hervorragenden Möglichkeiten zur individualisierten Ansprache der Kunden wurde bereits eingegangen. Kunden können sehr leicht untereinander in Kontakt treten, zum Beispiel in Newsgroups oder virtual communities, um ihre Erfahrungen mit einem Anbieter oder einem Produkt aus zu tauschen. Die Beobachtung der Geschehnisse an diesen virtuellen Orten gibt dem Unternehmen Anregungen für Verbesserungen des Leistungsangebotes oder Anhaltspunkte über mögliche Abwanderungsgründe. Auch die Serviceleistungen eines Unternehmens in der Net-Economy sind leichter individualisierbar. So werden Kunden zum Beispiel via e-mail kostengünstig, direkt und individuell mit den für sie interessanten Informationen versorgt, oder die Webseiteninhalte werden individuell auf die Kunden abgestimmt. Das eine einfache Navigation, ein schnelles Zurechtfinden auf der Webseite, kurze Ladezeiten und eine bequeme Bestellabwicklung zur Kundenbindung beitragen können, muss nicht sonderlich betont werden. Durch die Individualisierung spart der Kunde Zeit bei der Suche nach präferenzkonformen Informationen bzw. Produkten, da er nicht jedes Mal aufs Neue dem Unternehmen seine Präferenzen mitteilen muss. In einer Studie von A.T. Kearney wurde festgestellt, dass die erneute Eingabe vieler Informationen auf einer von einem Kunden zum ersten Mal besuchten Webseite als ärgerlich empfunden wird. Zudem muss sich der Kunde dann wieder an neue Navigationen und Impressionen gewöhnen, was Zeit kostet (vgl. Rizutti/Dickinson 2000). Kunden suchen im Internet vielmehr Kaufroutinen, um möglichst schnell und einfach das gewünschte Produkt zu erwerben. Werden beim Kunden zudem zusätzliche Wechselhemmnisse im oben angeführten Sinne aufgebaut, die zu einer freiwilligen Kundenbindung, besser Kundenverbindung, führen, so wird ein Wechsel des Kunden zu anderen Anbietern eher unwahrscheinlich. Voraussetzung für eine Kundenbindung in der Net-Economy ist also, wie häufig auch in der realen Welt, neben der Erfüllung des geforderten Grundnutzens auch Mehrwerte oder Zusatznutzen zu bieten. Offensichtlich wird die weiter oben angeführte Informationstransparenz in der Net-Economy nur dann zur Gefahr für eine dauerhafte Kundenbezie-hung, wenn die gewünschten und versprochenen Nutzen vom Unternehmen nicht erfüllt werden.
3.2.4 Effiziente und effektive Organisation und Kooperation
Die Organisation von Unternehmen und/oder Geschäftsmodellen in der Net-Economy wird im wesentlichen durch die folgenden Prinzipien bestimmt:
- Schnelligkeit
- Flexibilität
- Aktualität
- Kundenorientierung
- Direkte Kommunikation
- Partnerschaften
Unternehmen, die in der Net-Economy erfolgreich sein wollen, müssen schnell und flexibel auf Veränderungen im Markt- und Wettbewerbsgeschehen reagieren. Dies bezieht sich nicht nur auf die formalen Organisationsprozesse, sondern auch auf das Denken der Mitarbeiter. In traditionellen Unternehmen herrschen in der Regel starre Strukturen bezüglich personengebundener Tätigkeitsbereiche und bürokratischer Abläufe vor. Die Umstellung herkömmlicher Transaktionsaktivitäten auf die virtuelle Ebene erfordert ein Umdenken in den Köpfen der Mitarbeiter, da sie gewohnte Praktiken zugunsten der Virtualisierung aufgeben müssen. So sind sie häufig wider Willen gezwungen, sich den neuen Gegebenheiten an zu passen, was in der Anfangsphase eines Geschäftsmodells meist mit erheblichen Ineffizienzen einhergeht (vgl. Schmidt (2001), S. 23). Auch Entscheidungsträger, z.B. im Einkauf, sträuben sich teilweise, eine ihnen unbekannte Technik einzuführen, die u.U. sogar ihren Verantwortungsbereich beschneidet oder gar überflüssig macht. Deshalb ist die Aufklärung und die Motivation seitens des Top-Managements bezüglich der Vorteile der Nutzung des Internets von entscheidender Bedeutung. Dies setzt natürlich voraus, dass die Unternehmensführung in der Lage und Willens ist, die Möglichkeiten, die die Net-Economy bietet, für das eigene Unternehmen zu bewerten, sich ggf. von tradierten Handlungsweisen zu trennen oder diese an die neuen Anforderungen anzupassen. Für größere Unternehmen mit entsprechenden hierarchischen Strukturen, die in der Net-Economy erfolgreich sein wollen, spielt des weiteren die Dezentralisierung der Organisation eine entscheidende Rolle. Verbunden mit den notwendigen Freiräumen für die Mitarbeiter unterstützt diese Dezentralisierung das insbesondere in der Net-Economy notwendige schnelle, flexible sowie kundenorientierte Handeln massiv (vgl. Heinemann 2001, S. 128ff). Allerdings bedeutet dies nicht, dass betriebswirtschaftliche Regeln "über Bord" geworfen werden. Eine Dezentralisierung sollte nicht auf Kosten der Ausnutzung von Synergieeffekten gehen, die durch horizontale Verknüpfungen innerhalb der Aufbauorganisation gesichert werden müssen. Auch ein bereichsübergreifendes Projektmanagement kann wesentlich dazu beitragen, die oben genannten Prinzipien zu erfüllen, sofern dies professionell organisiert ist. Selbstverständlich sind auch klare Verantwortlichkeiten und Ziele mit entsprechenden fristbezogenen Meilensteinen fest zu legen ebenso wie bestimmte, digitalisierte und analoge, Informations- und Kommunikationsformen zwischen den Mitarbeitern und externen Kooperationspartnern, um letztlich einem organisatorischen Chaos zu entgehen, dem viele Neugründungen in der Net-Economy zum Opfer gefallen sind. In der Frühphase konnten diese dot.coms auf Hierarchien, fixe Abteilungsgrenzen und Regeln verzichten. Solange alle Mitarbeiter um einen Konferenztisch passten, konnten Arbeitsabläufe per Zuruf koordiniert, Probleme zwischen "Tür und Angel" gelöst und Wissen über Produkte und Kunden in der Kaffeeecke an neue Mitarbeiter vermittelt werden. Die Internetfirma funktionierte quasi wie eine Wohngemeinschaft, in der alles am Küchentisch entschieden wurde. Mit zunehmendem Wachstum und steigenden Mitarbeiterzahlen kann auf die Beachtung organisatorischer Erkenntnisse, Regeln und betriebswirtschaftlicher Berichtssysteme nicht verzichtet werden.
Allerdings lassen sich klassische Führungs- und Organisationskonzepte nicht ohne weiteres auf die Notwendigkeiten der Net-Economy übertragen. Ein Controlling, das sich auf das gesamte Partnernetzwerk und nicht nur auf das eigene Unternehmen bezieht, sollte entwickelt werden, ohne in die klassischen und demotivierenden "Überwachungsmethoden und Kontrollmechanismen" zu verfallen, die gelegentlich noch das eine oder andere Unternehmen charakterisieren. Gleiches gilt für ein möglichst effektives Informationsmanagement, das sich als abteilungs- und unternehmensübergreifendes sowie flexibles Koordinationsinstrument bewähren muss (vgl. Picot/Neuburger 2001, S. 40), insbesondere wenn es um die Kooperation von Unternehmen geht.
Im Abschnitt 2.2.4 wurde herausgearbeitet, dass in der Net-Economy ein größerer Bedarf nach einer engen Zusammenarbeit mit Dritten entsteht. Die Bildung von Kooperationen und flexiblen Netzwerken stellt in der Net-Economy also einen wesentlichen Erfolgsfaktor dar. Diese sollen dafür sorgen, dass eine kritische Masse im Sinne des Erreichens von economies of scale schnell möglich wird, indem sich Unternehmen auf die Wertschöpfungsstufen beschränken, die sie wirklich beherrschen und die zur Erlangung von Wettbewerbsvorteilen wichtig sind (è Konzentration auf die eigenen Kernkompetenzen). Auch sind Unternehmen in der Net-Economy aufgrund der eigenen begrenzten Ressour-cen oft nicht in der Lage, einen Auftrag ohne Kooperationspartner abzuwickeln. Im Business to Business-Geschäft verlangen Kunden häufig sogar die Einbindung von Dritten, die ggf. sogar im Teilwettbewerb zum eigenen Unternehmen stehen können. Ferner kommt strategischen Partnerschaften eine bedeutende Rolle zu, da Betreiber heute selten in der Lage sind, ohne die Beteiligung Dritter das gesamte Leistungsspektrum darzustellen. Da Fulfillment-Leistungen wie beispielsweise der Transport von Gütern, in der Regel nicht zum Kerngeschäft von Unternehmen der Net-Economy gehören, werden diese Dienste meist an spezialisierte Servicedienstleister vergeben. Wollte ein Unternehmen diese Dienste selbst anbieten, würde dies zum einen sehr zeitaufwendig sein, und zum anderen müssten meist hohe Investitionen getätigt werden, wobei eine entsprechende Qualität jedoch nicht gesichert wäre. Grundsätzlich können Partner auf allen Stufen der Wertschöpfungskette eingesetzt werden. In extremer Form wird das Prinzip der Spezialisierung und Vernetzung in der für die Net-Economy typischen Organisationsform des "Business Webs" realisiert. Es handelt sich hierbei um eine Gruppe von Unternehmen, die unabhängig voneinander Teilleistungen erbringen, die isoliert betrachtet zu einem geringeren Kundennutzen führen als in ihrer Gesamtheit. Stehen diese Unternehmen untereinander in Teilbereichen im Wettbewerb, arbeiten aber im Business Web auch zusammen, so hat sich hierfür der Begriff "Coopetition" durchgesetzt (vgl. zum Beispiel Picot/Neuburger 2001, S. 33, Merz 2002, S. 91).
Auf jeden Fall sollten vor dem Eingehen einer Kooperation klare Zielsetzungen und Anforderungsprofile an den Partner erarbeitet werden, um mögliche gegenläufige Interessen frühzeitig aufdecken zu können. Partnerschaften basieren auf Vertrauen; daher sollten sie nicht um jeden Preis eingegangen werden. Leistung und Gegenleistung, Chancen und Risiken müssen im ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen, um für alle beteiligten Partner zu einer "win-win-Situation" zu kommen (vgl. BCG 1999, S. 32f). Die Fähigkeiten und Geschäftserfolge des Partners sollten soweit wie möglich genau geprüft werden, insbesondere dann, wenn es sich ggf. um eine längerfristige Zusammenarbeit handelt ("...drum prüfe wer sich ewig bindet, ob sich das Herz zum Herzen findet! Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang...", Schiller, 1980, S. 480).
3.2.5 Die Wertschöpfungskette ganzheitlich prüfen
Das Internet bietet grundsätzlich das Potenzial, sämtliche Geschäftsprozesse innerhalb oder zwischen Unternehmen zu verändern sowie effektiver und effizienter zu gestalten. Daher sollte sich also jedes Unternehmen, das auch in der Net-Economy aktiv werden möchte, überlegen, welche der eigenen Angebote oder Wertschöpfungsstufen durch das Internet substituiert werden, verändert oder völlig neu gestaltet werden müssen. Umgekehrt müssen "Start-Ups", die ausschließlich in der Net-Economy tätig sein wollen, genau analysieren, welche wirklich innovativen Wertschöpfungsstufen oder sogar innovativen Geschäftsmodelle angeboten werden können und welche nur eine Substitution oder Ergänzung von bestehenden Wertschöpfungsstufen der realen Welt bedeuten. Eine ganz-heitliche Prüfung sämtlicher unternehmensinternen und -externen Prozesse im Sinne der bereits im Abschnitt 2.1 beschriebenen E-Business-Philosophie erscheint dem Autor als dringend geboten - und nicht nur eine Beschränkung der Analyse auf einzelne, vordergründige Wertschöpfungsstufen (vgl. Picot/Neuburger 2001, S. 3). Welche dieser Stufen (ob alle oder nur einzelne) dann tatsächlich für die Net-Economy mit welcher Priorität verändert oder neu gestaltet werden müssen, sollte das Ergebnis dieser Analyse sein. Bei der Umsetzung reden wir allerdings einer schrittweisen projektorientierten Vorgehensweise das Wort; sofort alles auf einmal verändern zu wollen, kann zu massiven Blockaden bei den Mitarbeitern und zu erheblichen Störungen der betrieblichen Abläufe führen.
3.2.6 Internationalität vor Globalität
Die Informations- und Kommunikationstechnologien der Net-Economy erlauben es, räumliche und geografische Distanzen schnell zu überbrücken, allerdings nur in der Informationsübertragung und Kommunikation. Bei physischen Warengeschäften muss beispielsweise auch der gesamte Logistikprozess sichergestellt sein. Die Internationalisierung eines Geschäftsmodells (Marktbearbeitung nur von ausgewählten internationalen Märkten) oder sogar Globalisierung (weltweite Präsenz und Marktbearbeitung ohne wesentliche regionale Beschränkungen) in der Net-Economy kann insbesondere bei digitalisierten Angeboten einfacher sein als in der Old Economy. Sie beinhaltet aber auch diverse "Fallstricke" im Marketing, erfordert Investitionen in die weiteren Businessprozesse, erhöht die sowieso schon bestehenden Risiken wirtschaftlicher und rechtlicher Art und sollte daher nicht dem Zufall überlassen bleiben. Und: Internationale bzw. globale Unternehmen haben nicht per se einen Vorteil. Er ist jedoch um so höher, je größer der Anteil der globalisierungsfähigen Kosten und je weniger verteidigungsfähig die Position der im Ausland bereits etablierten (lokalen) Konkurrenten (eventuell auch schon aus der "old-economy") ist! Zudem ist ein wesentlicher Teil der Unternehmen aber nicht global, sondern "nur" international tätig. Das heißt, dass diese Unternehmen nicht den Anspruch und oft auch nicht die Möglichkeiten haben, eine weltumspannende Marktbearbeitung durchzuführen. Und dies gilt ebenfalls für viele Unternehmen bzw. Geschäftsmodelle der Net-Economy (Ausnahmen stellen sicher die tatsächlich global tätigen multinationalen Konzerne dar, die inzwischen auch in der Net-Economy erfolgreich tätig sind, wie zum Beispiel General Electric oder Siemens). Die Unternehmen der Net-Economy, hier insbesondere Start-Ups und mittelständische Unternehmen, sind also besonders darauf angewiesen, eine gezielte, selektive Auswahl der erfolgversprechenden internationalen Märkte vorzunehmen und hier eine spezifische Marktbearbeitungsstrategie durchzuführen; es sei in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen zur Marktsegmentierung und Marktanalyse weiter oben verwiesen. Grundsätzlich sind die folgenden Initialentscheidungen zu treffen:
1. Die Net-Economy hat grundsätzlich globales Potenzial - wie geht das Unternehmen aber damit um? Keinesfalls darf die Internationalisierung des Geschäfts in der Net-Economy dem Zufall überlassen bleiben, weil in der Folge die Prozesse und Strukturen von vielen Unternehmen damit völlig überfordert werden würden. Es muss also bewusst und systematisch entschieden werden, wie die Globalität der Net-Economy für die Internationalisierung des eigenen Unternehmens genutzt werden kann.
2. Die Auswahl der "richtigen" internationalen Märkte, indem eine Marktanalyse und Bewertung der Marktattraktivität sowie der Markteintrittsbarrieren und Risiken erfolgt. Klärung beispielsweise der folgenden Fragen: Was wollen die Kunden im Ausland? Welcher physische After-Sales-Service muss möglicherweise geboten werden? Wie müssen die Produkte/Dienstleistungen an die landesspezifischen Anforderungen und Web-Entwicklungsstadien angepasst werden (Sprache, landesspezifische Einflüsse auf Geschäftsprozesse, kulturelle Besonderheiten, rechtliche Besonderheiten etc.)? Auf einer Website kann sich das zum Beispiel in Design, Content und Navigation niederschlagen.
3. Die Auswahl der passenden Markterschließungsstrategie unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der vorangegangenen Analyseergebnisse. Insbesondere kommt es neben dem richtigen Zeitpunkt des Markteintritts für Unternehmen der Net-Economy darauf an, lokale Partnerschaften einzugehen. Diese sollen helfen, landesspezifisches Know-how zu erlangen, die Wirtschaftlichkeit der Aufgabenerfüllung zu verbessern, die eigenen vor Ort nicht vorhandenen Ressourcen zu ergänzen und ein lokales "Standbein" zu haben.
3.2.7 Strategie ja - aber ohne Scheuklappen
Strategien sind Konzepte, die darauf ausgelegt sind, den Bestand eines Unternehmens oder Geschäftsmodells dauerhaft sicher zu stellen und für eine angemessene Rendite auf das eingesetzte Kapital zu sorgen. Wie bereits aus der Lektüre der vorangegangenen Erfolgsfaktoren deutlich wurde, spielen strategische Überlegungen, hier insbesondere der Bereich der Analyse und Bewertung, eine entscheidende Rolle in der Net-Economy. Offensichtlich fehlte vielen Unternehmen, die in der Net-Economy wertschaffend tätig waren, die strategische Basis, um daraus dann abgeleitet das operative Handeln in kontrollierten und erfolgreichen Bahnen halten zu können. Überhastete Investitionen in (falsche) Hard- und Software, die Fehleinschätzung von (tatsächlich zu geringen) Marktpotenzialen, die unzureichende Integration der E-Aktivitäten in ggf. vorhandene Geschäftsprozesse etc. zeigen auf, wie wichtig ein strategisches Management in der Net-Economy ist (vgl. Steinle 2001, S. 331). Die diesbezüglichen Konzepte zur strategischen Zielfindung, der externen und internen Umweltanalyse, der Strategieentwicklung, -auswahl, -umsetzung und -kontrolle sind vielfältig und zeigen die Bedeutung der strukturierten und analytischen Vorgehensweise auf. Dieses kontrollierte, formalisierte Vorgehen darf aber eines nicht verhindern: Die "Türen" für Lernerfahrungen müssen geöffnet bleiben. Dieser Aspekt ist insbesondere in der Net-Economy mit den in den vorangegangenen Abschnitten geschilderten Besonderheiten von immanenter Bedeutung. Die wesentliche Funktion einer Strategie besteht darin, den Weg zu zeigen, wie eine Organisation sich möglichst geschlossen in Richtung Zielerreichung bewegen sollte. Diese Vorgabe einer strategischen Richtung kann der Unternehmung jedoch "Scheuklappen" aufsetzen und potenzielle Chancen und Gefahren nicht sichtbar werden lassen. Trotz Ausrichtung auf ein strategisches Ziel darf die kontinuierliche Beobachtung der unternehmerischen Umwelt in der Net-Economy nicht vernachlässigt werden - und auch nicht die Bereitschaft, ggf. notwendige Änderungen in der Strategie schnell vorzunehmen (vgl. Mintzberg, 1999, S. 29). Strategisches Denken fördert zweifelsohne die Bündelung, Organisation und Koordination von Aktivitäten in einem Unternehmen. So soll verhindert werden, dass die Unternehmung in einem chaotischen Handlungswirrwarr endet. Aber auch hier gilt: Eine zu starr vorgegebene Strategie und Struktur kann sich auch zu tief ins Gewebe einer Organisation eingraben und damit zu völliger Inflexibilität führen, was insbesondere im Zusammenhang mit den notwendigen kooperativen Netzwerken in der Net-Economy nicht zum Erfolg führen kann. Man sollte sich bewusst machen, dass Strategien, ebenso wie Theorien eine Vereinfachung darstellen, die die Realität zwangsläufig mehr oder weniger stark verzerrt. Strategien und Theorien sind selbst keine Realitäten, sondern nur Abstraktionen derselben; Strategien können einen verfälschenden oder verzerrenden Effekt haben (vgl. Mintzberg, 1999, S. 31). Strategisches Denken und strategisches Handeln können auch für die in der Net-Economy tätigen Unternehmen entscheidend sein, wenn sie sich die notwendige Offenheit für die dynamischen Veränderungen in der Umwelt der Net-Economy bewahren ebenso wie die Bereitschaft, ggf. wirklich notwendige Korrekturen in der Strategie schnell durchzuführen. Besteht diese Bereitschaft nicht, so schließen wir uns Mintzberg an, der Strategien vergleicht mit den "...Scheuklappen für Pferde: sie halten sie zwar auf einem geraden Weg, erschweren aber den Blick zur Seite" (Mintzberg, 1999, S. 32).
4. Fazit
Das Internet und damit die Net-Economy wird weiter wachsen. Für die Unternehmen der Net-Economy bieten sich nach wie vor immense Chancen, um entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Unternehmens einerseits die internen Prozesse zu optimieren und andererseits die eigenen Geschäftsmöglichkeiten auszudehnen. Festzuhalten bleibt auch, dass die Möglichkeiten, die die Net-Economy bietet, grundsätzlich allen Unternehmen offen stehen. Es geht also nicht nur um "Start-Ups", sondern auch um die bereits in der realen Wirtschaftswelt etablierten Unternehmen, die zum Teil massiv in der Net-Economy tätig werden. Um hier Erfolg zu haben, muss das ökonomische "Rad" nicht neu erfunden werden; es kann und sollte auf die bestehenden Erkenntnisse der Betriebswirtschaftslehre zurückgegriffen werden. Jedoch gilt es dabei, die Besonderheiten und Gesetzmäßigkeiten der Net-Economy zu erkennen und bei der Gestaltung der unternehmensinternen und -externen Prozesse zu beachten. Die Auswahl der im Beitrag angesprochenen strategischen Erfolgsfaktoren sind eher als Anregung denn als Lösung zu verstehen: Sie sollen die in der Net-Economy tätigen Menschen dazu auffordern, sich mit den angesprochenen Themen systematisch auseinander zu setzen und für die jeweils individuelle Unternehmenssituation entsprechende Operationalisierungsmöglichkeiten abzuleiten. Denn: "Was alle Erfolgreichen miteinander verbindet, ist die Fähigkeit, den Graben zwischen Entschluss und Ausführung äußerst schmal zu halten" (Drucker, 1995, S. 82).
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